„Zwischen Identität und Authentizität“ – Duden Wettbewerb 2010/2011

„Zwischen Identität und Authentizität“ – Duden Wettbewerb 2010/2011

Ein Kommentar zur Teilnahme am Duden Nachwuchsjournalisten – Wettbewerb 2010/2011 zum Thema „Kultur in Bewegung“ von Tatjana Sochowski

„Bewegt“ sich Kultur? Wenn sie sich bewegt, bewegt sie sich vorwärts oder rückwärts? Bleibt der Weg der Veränderung, den die Kultur geht, immer der selbe? Oder ändert sich nur die Richtung? Der Richtungswechsel, über den ich schreibe, liegt direkt vor uns.

Wenn wir nicht schon mitten drin stecken. In der sozialen und kulturellen Veränderung, hervorgerufen durch das Internet im Allgemeinen und den „sozialen Medien“, auch „Social Media“ genannt, im Besonderen. Im Beispiel “Social Media“, dessen weit verbreitetste Form das „soziale Netzwerk“ ist, entsteht kein neuer Weg der „Nutzbarkeit der Sozialität“ mit Hilfe des Internets, sondern allein die Richtung der Masse, die Ausrichtung, hat sich in diesem Fall geändert. Geht es nur noch selten um die Menschen, bzw. „Freunde“, als viel mehr darum, im besagten „sozialen Netzwerk“ präsent (und möglichst auch noch aktiv daran beteiligt) zu sein. Für mich heißt das, dass diese Art der Kultur sich nicht bewegt, sie ändert nur ihre Richtung durch die Masse, die dahinter steht.

Das wiederum ergibt für mich einen Widerspruch: Soziale Kompetenzen, Zusammenhalt, „Netzwerke“, also eigentlich schon seit Jahrhunderten Notwendiges tarnt sich nun als Aktualität, als Modetrend. Hier verkauft sich Altes als Neues. Doch liegt der Widerspruch nicht in den sozialen Medien, sondern bei den Menschen, die diese benutzen. Wenn Absichten und Ergebnisse nicht übereinstimmen, ist das keine Veränderung, das ist lediglich die Vortäuschung einer Veränderung. Dieser Wunsch nach Veränderung rührt eventuell von der Reizüberflutung, der man sich heute kaum noch entziehen kann. Wir wünschen uns „immer größer; immer toller; immer mehr!“. So kann man durchaus von einer kulturellen Entwicklung sprechen, die vom „Immer da gewesenen“ und vom Internet beeinflusst wurde, allerdings bringt das allein noch keine „Kultur in Bewegung“. Dass sich richtige Kultur, reales Kulturgut, auch bewegen kann, sollte trotz der Erfindung der Echtzeit – Animation (noch) jedem klar sein. Diese „fassbare“ Kultur ist im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung nämlich gar nicht so langweilig – die Kultur selbst, in Antlitz und Bewegung, kann sogar doppeldeutig sein, wie diese mit dem oberen Vergleich eingeleitete Geschichte.

Sie beginnt im Berlin der 20er Jahre. Stars wie Charlie Chaplin, Greta Garbo, aber auch „die Dietrich“ oder „die Knef“ verkehrten hier. Nicht einfach irgendwo hier, nein. Sie verkehrten im „Kaisersaal“ im „Grand Hotel Esplanade“, dessen Bau damals bereits 23 Millionen Mark kostete. Jener Saal ist nicht irgendein Saal, denn er hat eine sehr bewegte Geschichte. Auf ihm stützt sich meine These der „Kultur in Bewegung“ und ganz nebenbei wurde der „Kaisersaal“, der in die Berliner Denkmalliste eingetragen ist, nach Kaiser Wilhelm, dem Zweiten benannt, welcher dort seine exklusiven Herrenabende veranstaltete. In der Zeit der Weimarer Republik war das Hotel mit seinen Sälen sehr beliebt bei den Anhängern der Monarchie. Nach 1933 aber, in der Zeit des Nationalsozialismus, wurde das Hotel gemieden.

Vor dem sogenannten Attentat vom 20. Juli 1944 trafen sich die Verschwörer mehrfach im „Hotel Esplanade“ und warteten dort auf den Ausgang des Anschlages. Albert Speer kündigte 1941 sogar den Abriss an. Im Winter 1944/1945 war das jedoch nicht mehr nötig, da das Hotel bei einem Bombenangriff nahezu komplett zerstört worden ist. Ein kleiner Teil Kultur von damals blieb jedoch fast unversehrt stehen. Das waren der „Kaisersaal“, der „Frühstückssaal“, das Treppenhaus und die Waschräume. In Mitten des zerstörten Berlins wurde dieser Teil schon in den 50er Jahren als Restaurant und für Veranstaltungen genutzt. Selbst nach dem Bau der Mauer 1961 lief der Betrieb weiter, so zum Beispiel zu sehen im Film „Cabaret“ mit Liza Minnelli von 1972 oder 1986 in „Der Himmel über Berlin“ von Wim Wenders. Nach dem Fall der Mauer 1989, wurden die Überreste des Hotels unter Denkmalschutz gestellt. Diese Tatsache wurde aber bei den ersten Bauplänen für das bekannte Sony Center am Potsdamer Platz auf Grund “falscher Informationen“ vorerst nicht berücksichtigt.

Das bedeutet: Die Planer des Sony Centers wollten denkmalgeschütztes Kulturgut einfach abreißen und durch etwas Neues ersetzen, genauer gesagt sollten die Überreste des „Grand Hotel Esplanade“ aus dem Weg, um Platz für das stilistische Sony Center zu schaffen. 1993 einigten sich die Investoren schließlich mit der Stadt Berlin auf eine spektakuläre Lösung: Der alte „Kaisersaal“ sollte um 75 Meter verschoben und so in das neue Sony Center integriert werden. Dank modernster computergesteuerter Technik, einer Luftkissen–Konstruktion und verschiedenster neuartiger Technologien wurde dieses Vorhaben sogar möglich gemacht. 1996 gelang der dokumentierte Abbau und anschließend der möglichst originalgetreue Aufbau des historischen Gebäudes 75 Meter weiter und kostete erneute 75 Millionen Mark. Der ebenfalls erhaltene „Frühstückssaal“ wurde in 500 Einzelteile zerlegt, in ihm befindet sich heute das „Café Josty“.

Seien wir mal ehrlich: Altes mit Neuem zu verknüpfen ist auch schon immer da gewesen und auf jeden Fall nichts neues. Deshalb ist „etwas zu bewegen“ auch nur eine Veränderung, solange es vorwärts geht. Nicht nur, dass die Kultur im Falle des „Kaisersaals“ tatsächlich in Bewegung war, wurde sie auch im übertragenen Sinne in die moderne Zeit „verschoben“. Wie sich die Kultur auch immer bewegen mag, ob nun tatsächlich in der Zeit, im Ort, oder in neuer Technologie – sie entfernt sich immer weiter von ihrem Ursprung. Ob nun Steine mit Geschichte, oder Bits mit Information, Kultur ist immer in Bewegung und es gilt, deren Existenz für alle zugänglich zu bewahren. Man kann Kultur heute hinter Glas bestaunen, ob nun hinter dem eines Monitors, oder dem Sicherheitsglas, das den „Kaisersaal“ heute in Mitten des modernen Sony Centers allen zugänglich macht und gleichzeitig das Alte vor dem Neuen schützt, also die Kultur vor uns.

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